Biografische Notizen

Die Anfänge in Herisau

18. August 1955, an einem ganz gewöhnlichen Donnerstag, bekam ich im Spital von Herisau von einer griesgrämigen Hebamme zum ersten Mal den Hintern versohlt, um mir zu demonstrieren, dass das Leben kein Honiglecken ist. Na ja, ich habe es bis heute überlebt und das ist doch schon eine ziemlich lange Zeit, nicht wahr. Natürlich habe ich keine Erinnerung mehr an diesen Übergriff auf meine Integrität.

Ebenso wenig sind mir die netten Krankenschwestern in Erinnerung geblieben, die mich anschliessend in warme Tücher gehüllt und dafür gesorgt haben, dass ich mir nicht meinen winzigen Allerwertesten abfriere.

Das einzige Foto aus der Zeit meiner frühesten Anwesenheit zeigt mich auf den Armen einer Krankenschwester, einer ältlichen Person weiblichen Geschlechts, mit Schürze und weissem Kragen, wie es sich damals gehörte, die mich gnadenlos dem Blitzlichtgewitter eines Fotoapparates aussetzt. Wer der Fotograf war, entzieht sich meiner Kenntnis. Vermutlich war es mein Grossvater mit seiner modernen Voigtländer, dem Rolls Royce unter den Fotoapparaten der damaligen Zeit.

St. Gallen

Die ersten und einzigen Erinnerungen an St. Gallen habe ich an ein winziges Balkönchen mit Eisengeländer in einem gut bürgerlichen Wohnhaus. Auf diesem Balkönchen, zusätzlich noch gesichert mit einem hölzernen Laufstall, steht eine Wassergelte. So ein blechernes Ding, in welchem Generationen von Grossmütter die Wäsche gewaschen haben. Mir diente sie als Badewanne. Jaja, ich hatte schon als kleines Kind eine grosse Affinität zu Wasser und Baden. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Doch heute bevorzuge ich Thermalbäder, deren Wasser mit 34° Wärme liebevoll meinem Luxus-Körper schmeicheln.
In der Gelte sorgte ich für eine angemessene Wassertemperatur, indem ich gelegentlichem hineinpinkelte. Heute brauche ich das glücklicherweise nicht mehr zu machen, da Thermalwasser gemeinhin über eine angeborene Wärme verfügt. Und ausserdem attestiere ich mir ein gewisses Mass an Anstand, das mir verbietet, die Wasser-temperatur auf diese Weise konstant zu halten.
In der Blechgelte auf dem Balkönchen sitze ich also splitterfasernackt – und werde fotografiert. Von vorn, von hinten, von der Seite und aus der Vogelperspektive. 

Apropos splitterfasernackt. Gelegentliche Besuche bei meinen Grosseltern in Glarus endeten gewöhnlich auf dem Stubentisch, wo man mich als erstes meiner wärmenden Kleider entledigte und nackt auf ein Kissen legte. Dann zückte Grossvater Ruedi, kurz Vati genannt, seine sündhaft teure Voigtländer und fotografierte mich hemmungslos von allen Seiten.

Ich kann das gut verstehen, denn erstens war ich der erste Enkel meiner Grosseltern und zweitens ein aussergewöhnlich hübsches Kind, oder etwa nicht? Trotzdem erschliesst es sich mir nicht, weshalb in den Fünfzigern sämtliche auf der Alpennordseite geborenen Babys im Laufe ihres ersten Lebensjahrs nackt ausgezogen, auf ein Kissen oder ein Fell gelegt und auf Teufel komm raus von allen Seiten abgelichtet werden mussten. Schwarzweiss, versteht sich, denn damals war die Farbfotografie ziemlich kostspielig.

Glarus

Als ich etwa drei Jahre alt war, übersiedelten wir von St. Gallen nach Glarus. Hier verbrachte ich die ersten Lebensjahre. Ich pendelte zischen dem Spielhof, wo meine Eltern zu Hause waren, und der Hauptstrasse, ganz in der Nähe, dem Wohnsitz meiner Grosseltern, wo mein Vater bei seinem Vater in der Schreibmaschinenwerkstatt arbeitete. 

(Fortsetzung folgt)