Elba 2014: Grenzerfahrung

Nachdem wir den San Bernardino und das Misox hinter uns haben, müsste eigentlich die Italianità zu wirken anfangen. Doch wir spüren nicht sehr viel davon. Es ist ja stockfinstere Nacht. Und erleuchtete Fenster oder Strassenlaternen strahlen etwa so viel Italianità aus, wie Berlusconi in seinem Bunga-Bunga-Kostüm (auf ein Bild desselben verzichte ich hier).

Bald einmal nähern wir uns der Grenze in Chiasso. Überall stehen Tafeln, die unmissverständlich darauf hinweisen, dass die Grenze nicht mehr fern sei.  Schliesslich steht da die letzte Tafel mit der Aufschrift «ALT – Stazione»

Meine Italienisch-Kenntnisse sind im Laufe vieler Jahre des Nichtgebrauchens etwas verkümmert. Mindestens aber weiss ich, dass mit «ALT» nicht alte Leute gemeint sind, sondern dass dieses Wort dem italienischen Unvermögen entspringt, ein «h» so auszusprechen, wie wir kühlen Nordländer das können. «ALT» müsste also «HALT» heissen, was dem Wort einen tieferen Sinn vermittelt, denn Anhalten an einem Grenzübergang ist ja nichts Aussergewöhnliches.


Vor dem Grenzer-Kabäuschen steht ein müder Zöllner, der offenkundig nicht recht weiss, ob er uns einfach durchwinken oder gründlich filzen soll. Während wir langsam am Kabäuschen vorbei rollen, neigt er sich leicht vor und schaut in den Fond des Wagens, wo ich in voller Pracht sitze. Seine Hand liegt an der Knarre, um sofort in die Reifen unseres Autos zu schiessen, falls ich ihm eine Veranlassung dazu böte. Doch angesichts meiner Person entspannt sich der Zöllner und kommt zum Schluss, dass ich keine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle und winkt uns mit einer grosszügigen Geste durch.
Eine tiefe Nachdenklichkeit bemächtigt sich meiner. Ich bin mir nicht ganz im Klaren darüber, wie ich diese Geste zu deuten habe. Wenn er meiner Wenigkeit die Aufmerksamkeit zollen würde, die mir eigentlich zustünde, hätte das bedeutet: anhalten und gründliche Personenkontrolle, im schlimmsten Fall einen Unterbruch der Reise von mehreren Stunden, weil zuerst alle Verbrecher-Datenbanken nach meinen Personalien hätten durchforstet werden müssen und anschliessend das Auto nach Waffen und Sprengstoff durchsucht worden wäre. Da er uns jetzt aber einfach nur durchwinkt, muss ich annehmen, dass ich für ihn nur von geringem Interesse bin. Von so geringem Interesse, dass er es nicht für nötig hält, mich eingehend zu kontrollieren. Ich falle in eine tiefe Depression.

Doch ich reisse mich zusammen. Eitelkeit ist hier wohl fehl am Platz und ich ziehe es vor, dem Zöller die Missachtung meiner Person grosszügig nachzusehen, und bin froh, dass sich der Abstand zwischen ihn und seinem Kabäuschen ziemlich rasch vergrössert.
Auch wenn ich womöglich wie ein Gangster aussehe, ich bin definitiv keiner…