Elba 2014: Kulinarisches Panoptikum I

Dieses tiefschürfende Thema beginnt mit einem Videorätsel. Die muntere Männergesellschaft habe ich am Freitagabend im kleinen Ristorante 'Da Giovanni' aufgenommen, in welches wir uns zum Nachtessen verirrt haben. Doch alles schön der Reihe nach. Zuerst einmal das Rätsel:

Insalata caprese

In jeder Stadt gibt es eine grosse Anzahl von Restaurats, Pizzerien und anderen Fressbuden, wo vornehmlich - und das vor allem in der Hochsaison - die Touristenmassen ein und aus gehen und sich die Bäuche mit vermeintlichen Landesspezialitäten füllen. Da kann es dann schon vorkommen, dass man für dumm verkauft wird. Sind ja nur Touristen. Kommen einmal und verschwinden dann wieder. Im letzten Sommer habe ich in einem Ristorante, mitten in Portoferraio, einen Salat 'Caprese' bestellt. Für Nichtkenner der italienischen Küche: das ist ein Salat, in seiner Grundausstattung bestehend aus Tomaten, Basilikum und einem in Scheiben geschnittenen. Mozzarella. Genau so habe ich den 'Caprese' erwartet. Bekommen habe ich ein paar Tomatenräder und mitten drauf die ganze Mozzarella-Kugel. Beim Anschneiden dieser Kugel hat sich dann herausgestellt, dass sie aussen zäh war und im Innern bereits angetrocknet und rissig.

Meine Italienischkenntnisse sind nicht unbedingt aufs Reklamieren ausgerichtet. Aber es gelang mir dann doch, dem Kellner klarzumachen, dass dieser Mozza alles Mögliche sei, nur nicht frisch. Ohne ein Wort zu sagen, verschwand er in der Küche und kam nach ein paar Minuten zurück. Der Mozzarella sei frisch, sagte er, er habe in der Küche nachgefragt. Als ich ihm das angetrocknete Innere zeigte, behauptete der Lümmel steif und fest und ohne rot zu werden: «È buffalo...!»

Nun, ich bin ja nicht ganz so blöd, wie ich aussehe, denn eines ist sonnnklar: 'Buffalo' war das auf keinen Fall.  Nein, das war nichts anderes, als ein geriatrischer Mozza, aussen zäh, innen angetrocknet und rissig.


Ristorante da Giovanni

Dann gibt es aber noch die andern Ristoranti. Jene, die man nur per Zufall findet, weil sie sich entweder abseits der Trampelpfade von Touristen befinden oder in irgenwelchen Nebengässchen oder Hinterhöfen so versteckt sind, dass sie gewöhnlich nur Einheimische kennen.

Das Ristorante 'Da Giovanni' ist so ein Beispiel. Wir haben es per Zufall entdeckt, weil wir unsere neugierigen Nasen gerne in jene Hinterhöfe stecken, die uns eigentlich gar nichts angehen. In einem dieser Hinterhöfe harrt das 'Da Giovanni' der Gäste die da kommen. Und die Gäste, die da kommen, sind fast immer nur Einheimische und ganz selten Touristen wie wir.

Die Essgewohnheiten der Italiener sind anders als unsere. So essen wir beispielsweise abends zwischen sechs und acht, Italiener hingegen zwischen acht und elf. So kommt es, dass wir die ersten Gäste sind, die das schmale Restaurant betreten. Keine Menschenseele befindet sich im Lokal, alles ist dunkel. Einzig im Hintergrund gewahren wir einen Lichtschimmer. Giovanni und seine Leute sind gerade beim Nachtessen. Aber wir sollen uns nur setzten, es komme dann jemand.

Das erste, was kommt, ist eine Katze. Zur offenen Tür herein. Ganz ungeniert tappt sie an uns vorbei und verschwindet im Hintergrund des Ristorantes. Kurz darauf saust sie pfeilgeschwind in umgekehrter Richtung durchs Restaurant und verschwindet durch die offene Tür nach draussen. Ein baumlanger Italiener in Jeans und blauem Hemd (ist es Gianni? Wir wissen es nicht...) eilt dem Katzenvieh hinterher, klatscht ein paar Mal in die Hände und stösst ein paar italienische Deftigkeiten aus, die wir zum Glück nicht verstehen.

Nachdem sich die Katze ins Freie verzogen hat, verschwindet der Baumlange wieder im hinteren Restaurant, nicht ohne im Vorbeigehen noch schnell den Kanal des ständig laufenden TV-Gerätes von der einen doofen Quiz-Sendung auf eine andere umzuschalten.

Wahrscheinlich sind Giovannis noch nicht ganz fertig mit dem Nachtessen, denn wir sitzen immer noch am Tisch, ohne dass uns jemand mit seiner Anwesenheit beglückt und wenigstens mal etwas zu trinken gebracht hätte. Gerade beginnen unsere Mägen leise zu knurren, da streckt die Katze ihren Kopf wieder zur Tür herein. Da der Baumlange nicht zu sehen ist, spaziert sie zum zweiten Mal an uns vorbei ins hintere Restaurant. Nicht lange darauf hört man ein Riesenspektakel. Die Katze flitzt an unserem Tisch vorbei ins Freie, gefolgt vom klatschenden und schimpfenden Baumlangen. Nachdem sich dieser wieder in die Küche begeben hat,

erscheint endlich der Kellner. Er hat offensichtlich sein Abendmahl beendet, legt uns schon mal die Speisekarte auf den Tisch und erkundigt sich höflich nach unseren flüssigen Wünschen. Wir bestellen Prosecco, eine Flasche Wein und Mineralwasser frizzante. Der Kellner macht sich auf, das Gewünschte zu holen.

Und schon steht sie wieder unter der Türe, die Katze. Sie hält nach dem Baumlangen Ausschau. Doch der ist nirgends zu sehen. Das macht der Katze Mut. Diesmal geht sie


raffinierter vor. An der gegenüberliegenden Wand wartet eine lange, gedeckte Tischreihe auf eine Gesellschaft. Die Katze springt auf den ersten Stuhl und verschwindet unter dem Tischtuch. Von da an verlieren wir sie aus den Augen. Vermutlich hat sie dem  Baumlangen ein Schnippchen geschlagen, indem sie, gut getarnt, unter dem Tischtuch auf den Stühlen in den hinteren Teil des Ristorantes vorgedrungen ist. Wohin sie aber tatsächlich geschlichen ist, haben wir nicht gesehen. In die Küche? In den Frigorifero? Vorsichtshalber bestellen wir Fisch.

Von schwarzen Äuglein und tausend Beinen

Wenn ich sage, wir hätten Fisch bestellt, so entspricht das vielleicht nicht ganz den Tatsachen. Denn nicht alles, was in den Weltmeeren kreucht und fleucht und schwimmt, kann unbesehen als Fisch bezeichnet werden. Gewöhnlich haben Fische vorne einen Kopf, hinten eine Schwanzflosse, oben eine Rücken- und unten eine Schwanzflosse. Ihre stromlinienförmige Körperform ermöglicht ihnen ein pfeilschnelles Fortkommen im Wasser. Das Leidige an den Fischen sind die Gräten. «…er starb an einer Gräte, die beim Atmen störte und da auch gar nicht hingehörte…», heisst es in einem Gedicht des deutschen Komikers Heinz Erhardt, über das Ableben eines Mannes, dem eine Gräte in die Luftröhre geraten ist.

Dann gibt es aber noch unzählige weitere Lebewesen, welche die Meere bevölkern, die mit Fischen, so wie wir sie kennen, nicht viel zzu tun haben: Krebse, Hummer, Schalentiere, Mollusken, Seeigel (deren einziger Lebenszweck darin bestehe, badenden Menschen in die Füsse zu stechen, um noch einmal Heinz Erhardt zu bemühen), Tintenfische, Kalmare, und so weiter und so fort.

Meine Bestellung beim umtriebigen Kellner besteht in einem Teller Spaghetti als Vor- und einem Teller frittierter Meeresbewohner als Hauptspeise. ‚Calamari‘ verstehe ich gerade noch. Das heisst auf Deutsch ‚Tintenfische‘. Die mag ich. Dann steht da noch ein anderer Name auf der Karte, den ich noch nie gehört habe. Ich gehe aber davon aus, dass es sich ebenfalls um irgend ein Meeresungeheuer handelt.

Ich gehöre nun definitiv nicht zu der Sorte Schweizer, deren grösste Sorge es ist, dass sie im Ausland nicht ihre gewohnte Rösti mit Spiegelei und ihren Wurstkäsesalat garniert bekommen und vertrete die Meinung, dass wenn man sich im Ausland aufhält, man die gottverdammte Pflicht hat, sich mit der nationalen Küche auseinanderzusetzen und deren kulinarischen Highlights zu testen. Selbst dann, wenn die Folge davon Rumoren im Gedärm und im schlimmsten Fall Dünnpfiff ist. Ausserdem finde ich es überaus spannend, etwas zu bestellen, von dem man keine Ahnung hat, was es ist.

Spaghetti kenne ich, damit kann man mich nicht mehr überraschen. Aber als dann der Hauptgang kommt, bin ich schon ein wenig überrascht. Aus einer Papiertüte, ähnlich einem aufgeschlitzten Staubsaugerbeutel, starren mich durch frittierte Calamari-Ringe hindurch die schwarzen Knopfaugen einiger Crevetten und Garnelen vorwurfsvoll an. Und es scheint mir fast so, als würden sich die tausend Beine dieser Tiere noch bewegen und am Papier kratzen.

Dialog mit einer Garnele

Die grösste der Garnelen hat sich als Sprecherin der andern hervorgetan. Sie funkelt mich mit ihren schwarzen Knopfaugen böse an und krächzt mit heiserer Stimme:

 

Garnele: Wage es ja nicht, mich anzufassen...!

Hanspeter: Hm, was wäre es denn für ein Wagnis, dich anzufassen?

Garnele: Wenn du mich anfasst, beisse ich dich!

Hanspeter: Womit denn, du hast ja gar keine Zähne.

Garnele: Ehm, stimmt. Ich habe keine Zähne. Dann werde ich dich stechen, wenn du mich anfasst!

Hanspeter: Aber, meine liebe Garnele, womit willst du mich denn stechen? Ich sehe keinen Stachel.

Garnele: Jajaja, ich weiss, ich habe keinen Stachel. Dann boxe ich dich halt!

Hanspeter: Schau mal meine beiden Arme an und sag mir dann, wer stärker ist.

Garnele: Schon gut, du hast vielleicht stärkere Arme, aber ich habe dafür zehn. Damit zertrete ich dich!

Hanspeter: Du meine Güte, schau dich an! Wie um Himmels Willen willst du mich zertreten?

Garnele: Ehm, ja, du scheinst wirklich eine Nummer zu gross für mich zu sein.

Hanspeter: Eine ganze Menge von Nummern, würde ich sagen.

Garnele: Gut, gut, du hast mich überzeugt. Dann vergifte ich dich halt. Genau, ich vergifte dich!

Hanspeter: So, Schluss jetzt, ich habe Hunger.

Garnele: Mach dich nicht unglücklich - lass mich augenblicklich los, sonst...

 

Es gibt ein knirschendes Geräusch, als ich der Garnele den Kopf umdrehe und ihren Panzer aufbreche, um an das schmackhafte Fleisch heran zu kommen

Des Rätsels Lösung

Während wir essen, füllt sich das Ristorante 'Da Giovanni' nach und nach mit älteren Herren. Sie setzen sich an die lange Tafel, unter deren Tischtuch die Katze verschwunden ist. Jeder, der neu hereinkommt, grüsst ein paar andere mit Handschlag oder klopft dem einen oder andern freundschaftlich auf die Schulter. Um die Freunde am hinteren Ende des Tisches zu begrüssen, brüllt man ihre Namen und winkt ihnen zu, wenn sie herschauen. Es wird munter gesmalltalkt. Bei diesen Herren ist der Talk allerdings nicht sehr small. Mindestens was die Lautstärke angeht. Und gestenreich ist er auch, in dieser Beziehung sind die Italiener unerreicht. Je mehr Männer erscheinen, desto lauter wird es. Und es sind wirklich nur Männer. Keine einzige Frau ist dabei.

Dann erscheint eine Fotografin und knipst die muntere Gesellschaft aus allen Perspektiven. Wir vermuten in ihr eine Lokalreporterin, die für die Portoferraier Regenbogenpresse arbeitet. Nachdem sie ihre Bilder geschossen und das Lokal verlassen hat, bekommt die Meute ihren ersten Gang und der Lärmpegel sinkt merklich. Die Neugierde hat uns gepackt. Was ist das für eine illustre Männergesellschaft? Und als uns der Kellner die Rechnung bringt, fragen wir, was es mit diesen Herren auf sich habe:

«È un gruppo sportivo?»

«O un coro maschile?»

Nichts von alledem trifft zu. Die Antwort des Kellners ist der Brüller: Das sei ein Verein von Männern, welche an der Strasse weiter unten wohnten und sich einmal im Monat hier träfen, erklärt er uns. Selbstverständlich ohne Frauen. Aber die hätten ja auch gar keinen Platz mehr gefunden am überfüllten Tisch im kleinen Lokal von Giovanni. Über Zweck und Statuten dieses Vereins lässt er uns im Ungewissen. Vielleicht kennt er sie ja auch nicht. Möglicherweise kennen sie nicht einmal die illustren Vereinsmitglieder.